Kinderreichtum und Arbeit
Defragmentierung erwünscht: Abenteueralltag eines Freiberuflervaters
Mein gewöhnlicher Arbeitsalltag ist relativ ungewöhnlich, denn ich komme für gewöhnlich nicht aus dem Arbeiten heraus. Deshalb dachte ich mir, ich schildere einmal, wie der abenteuerliche Alltag eines Freiberuflers mit vier Kindern so aussieht. Die kürzlich erschienene Zeitverwendungserhebung 2022 des Statistischen Bundesamts befeuerte mein Vorhaben. Mithilfe der bereitgestellten Daten kann ich nämlich meinen Alltag mit dem der (meisten) Deutschen abgleichen. Nice.
Audio dieses Blogbeitrags über meinen abenteuerlichen Alltag und des Vergleichs zur Zeitverwendungserhebung 2022, aufgepeppt mit ein paar pretty Plots. Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2024
„Was ist das Leben?“, so heißt eine der actionreichen Folgen meines Lieblingshörspiels „Gabriel Burns“. Die Serie ist im Mystery-Thriller-Kosmos verortet und dementsprechend sehr aufregend und abenteuerlich. Es geht um grauenhafte Graue Engel, Telekinese, Menschenklone, wahnwitzige Wissenschaftler, das Jenseits/eine Parallelwelt, den Kampf zwischen Gut und Böse, futuristische Fahrzeuge, die Jagd nach der Unsterblichkeit und – wahrscheinlich – die Rettung der Welt. Das Intro kommt von Hans Paetsch, dem Märchenonkel der Nation. Der Produzent konnte immer wieder prominente Gastsprecher wie Jasmin Wagner (aka Blümchen), Smudo von den Fantastischen Vier, Bela B. von den Ärzten oder Jimmy Pop von der Bloodhound Gang gewinnen. Diese Highlights erhöhen den für mich ohnehin schon immensen Reiz der Serie ins Unermessliche. Leider wurde die Produktion von „Gabriel Burns“ vor zehn Jahren eingestellt. Mein Herz blutet noch immer.
Der Titel der Folge passt wortwörtlich gesehen ziemlich gut auf den Blogeintrag, weil ich über mein Leben schreiben will und mich hier frage, woraus mein Leben momentan besteht. Außerdem geht es in der Folge um Familie, denn die Eltern einer der Hauptfiguren aus der Serie erwachen nach vielen Jahren aus dem Koma. Also, thematisch schon okay wegen Familie, und Koma kommt auch hin, wie du später verstehen wirst.
Dennoch ist es seltsam, dass ich beim Schreiben dieses Blogeintrags gerade an diese Serie beziehungsweise diese Folge denken muss. Denn der Eintrag handelt eigentlich von dem genauen Gegenteil: meinem sehr routinierten Alltag als Freiberufler und Vater von vier Kindern. Der ist auf den ersten Blick null abenteuerlich. Ja, hier und da gibt es ein wenig Aufregung. Aber die wird zu jedem Zeitpunkt vermieden, umgangen oder so schnell wie möglich heruntergekocht.
War das somit eine Art Fehlassoziation von mir? Oder ist mein Alltagsleben vielleicht doch aufregender, als ich es mir gerade eingestehen will? Mal sehen, hier kommt erst mal ein Protokoll meines idealen Alltagtags.
Daddy ist ein early bird – geworden
5.45 Uhr: An einem optimalen Tag schaffe ich es, um Viertel vor sechs aufzustehen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass keines meiner Kinder nachts meine Aufmerksamkeit brauchte, weil es vielleicht von Monstern oder dergleichen geträumt hat. Das war im Winter leider recht selten der Fall, wird aber jetzt mit dem aufblühenden Frühling merklich besser.
Früher konnten mich übrigens keine zehn Pferde so früh aus dem Bett holen. Ab sieben Uhr bewegten sich meine lahmen Knochen aus der Koje. Aber vier kleine Kinder setzen, sagen wir mal, Prozesse in Gang, die Abläufe auf magische Weise verändern können. Die kleinen Engel wirken ein bisschen wie ein Gesundbrunnen auf mich, der zu neuen Lebensgeistern führt.
Nach dem Aufstehen gehe ich fix in die Küche, trinke ein Glas Wasser, mache mir einen Kaffee und setze Wasser für einen nachfolgenden Tee auf (Anis-Fenchel-Kümmel). Noch so eine Sache, die sich mit den Elternjahren verändert hat. Viel zu trinken ist wichtig, das wusste ich schon vorher. Aber früher habe ich vier bis fünf Tassen Kaffee pro Tag in mich reingekippt. Das funktioniert nur leider nicht mehr, und ich bin umgeschwenkt auf Kräutertee. Der stabilisiert den unruhigen, nervenzerfetzten Magen des kinderreichen Vaters, sodass ich zumindest zwei Kaffee genießen kann. Skål!
6 Uhr: Arbeitsbeginn Nummer eins – im Pyjama. Fühlt sich irgendwie wie in einer Parallelwelt an, zwischen zwei Horizonten. Hier schlafe ich noch halb, dort arbeite ich schon voll. Das geht in der Regel bis sieben gut, weil der Schalter dann wieder auf Familie gestellt werden muss. Klack.
Meine Frau steht meistens auch um sechs auf, weil sie die Brotdosenbeauftragte unserer Horde ist. Bei vier Brotdosen dauert das Abfertigen naturgemäß einigermaßen lange, und Zeitdruck ist nach aller Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt zu vermeiden. Der sich ergebende Stress ist völlig unnötig. Planungssicherheit ist zu einem Kernelement in unserem Alltag geworden. Dabei haben wir beide früher extrem gerne einfach in den Tag hinein gelebt.
7 Uhr: Schnell waschen, Zähne putzen und anziehen, nebenbei anfangen, die Kinder vorsichtig zu wecken. Hierbei ist es absolut essenziell, behutsam vorzugehen. Lieber Zeit mitbringen, alle zwei bis drei Minuten in die Kinderzimmer lugen und die Kleinen zart anstupsen, als zu versuchen, einmal per Hauruckverfahren die Kinder aus den Betten zu bekommen. Letzteres provoziert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Metamorphose der liebreizenden Engelchen zu grauenhaften Grauen Engeln, die mich mit Haut und Haaren verspeisen wollen.
7.15 Uhr: Meine Frau und ich versuchen, die Kinder weiterhin möglichst ohne Dramen aus den Betten zu kriegen. Das verlockende Angebot von Knäckebrot mit Frischkäse zieht hierbei einige Kinder ganz gut aus den Federn – manchmal. Manchmal wollen sie auch einfach noch etwas liegen bleiben, was wir unbedingt aus Angst vor einer anstehenden Grauer-Engel-Metamorphose zulassen. Wiederholte kleine Streicheleinheiten halten das Böse in Schach und lassen das Gute (im Kinde) langsam erwachen. Hoffentlich …
Dann machen meine Frau und ich die Kids zusammen für die Kita und die Schule fertig. Zum Glück können sich drei Viertel unserer Kinder schon selbst anziehen. Das fühlt sich wie Telekinese an. Wir legen nur noch die Klamotten hin, sagen gar nichts, drehen uns um und schon sind die Großen angezogen – wenn wir Glück haben. Meistens wollen sie sich selbst anziehen. Aber manchmal bedarf es doch Mama oder Papa, um die verflixten Kleider an den kleinen Leib zu bekommen.
Nun noch Zähne putzen und nachputzen, vorher/währenddessen/nachher drive-by eine Geschirrspülmaschinenladung ausräumen und wieder einräumen oder Wäsche zusammenlegen. Schuhe, Jacken und sonstiges Gedöns (zum Beispiel Regenhosen) anziehen. Handcreme für Papas stressgeplagte Patscher – die Kids wollen dann natürlich auch. Tür auf. Meute minus Mama raus.
8 Uhr: Die Kinder und ich sitzen in unserem Raumschiff, will sagen: Auto. Papas Playlist muss angemacht werden, sonst sind weder Papa noch die Kinder happy. Erst dann fahren wir zur Schule. Kind Nummer eins steigt aus, der Rest schwebt weiter zur Kita. Musik muss lauter.
Parkplatzsuche in der Stadt. Nervt ab und zu. Hier wäre richtige Telekinese sehr hilfreich. Aber die tägliche Herausforderung, einen adäquaten Raumschiffparkplatz zu finden, trainiert nur die Fähigkeiten, gut und zügig einzuparken. Aber auch hier ist das Credo: Bring Zeit mit, dann hast du nicht so viel Druck.
Auto geparkt, Kinderwagen aus dem Kofferraum gehievt (bitte, bitte, lass mich telekinetisch fähig werden!) und mit drei kleinen Kindern durch den Stadtverkehr getingelt. Das kann ziemlich abenteuerlich sein. Ständig lauert das Böse an der nächsten Ecke. Ein heranpreschendes Auto, ein superinteressantes, glitzerndes Müllpartikel auf dem Boden, das per biologischen Multiscanner (aka Mund) analysiert werden will, Mauern, auf denen balanciert werden will, obwohl die viel zu hoch für das Kind beziehungsweise das Alter sind. You name it! Aber der alles antizipierende Elternteil hat bisher noch (fast) alle Angriffe des Bösen abwehren können. Dennoch: Der Kampf geht weiter. Und weiter. Und weiter. Never-ending battle, wenn du so willst.
An der Kita angekommen wird Kind Nummer vier zuerst abgegeben, danach sind die Zwillinge (Kind Nummer zwei und drei) an der Reihe. Puh, zu diesem Zeitpunkt kann ich kurz durchatmen, weil ich erst mal keine großen Befindlichkeiten mehr bändigen muss. Das ist tatsächlich für mich das Herausforderndste im ersten Tagesdrittel.
Manchmal gehe ich noch beim Budni oder Bäcker einkaufen. Danach hechte ich zum Raumschiff und schwebe in aller Ruhe ohne Geschrei, Gezanke und sogar ohne Musik nach Hause.
Zwei Superblöcke and a break
9.15 Uhr: Jetzt beginnt die mystische Zeit des ersten Superblocks. Ich bin zu Hause, es ist ruhig. Richtig, richtig ruhig. Ich komme runter, mache mir noch einen Tee (Kamille) und trinke ein Glas Wasser. Stay hydrated, nicht vergessen! Nun übernimmt der wahnwitzige Wissenschaftler/Autor in mir das Zepter. Muahhaha …
11 Uhr: Wusch, der zweite Arbeitsblock ist geschafft. Dieser währt in der Regel 1,75 Stunden, wenn ich Glück habe. Kommt ein bisschen darauf an, wie schnell ich aus der Kita zu Hause bin.
Nun schwelt wieder eine furchtbare Gefahr in mir. Mein böses Ich wird lauter und lauter und droht, meinen Körper komplett zu übernehmen. Denn eine unheilvolle Unterzuckerung macht sich bemerkbar. Also ab in die Küche und mit dem Kochen anfangen. (Meine Frau, die viel im Heimbüro arbeitet, profitiert dabei regelmäßig von meinen Hotel-Restaurant-Erfahrungen.) Nebenbei noch eine Geschirrspülmaschinenladung verarztet oder, du ahnst es, Wäsche zusammengelegt.
11.20 Uhr: Essen fassen, yay! Dabei eine Doku oder Comedyfolge (halb) gucken. Das verbuche ich eigentlich auch als Arbeit, weil es schlicht der Informiertheit dient. Ein Autor muss ja wissen, wo das nächste Unheil lauert.
11.45 Uhr: Ich gönne mir einen power nap, wobei ich selten tief einschlafe. Aber ich ruhe mich 35 bis 45 Minuten aus. Dabei schwirren meine Gedanken jedoch oft um die Arbeit, vor allem zum Schluss des Schläfchens. Wenn die Nacht allerdings recht mühselig war, schlummere ich auch mal richtig ein, weshalb ich mir immer einen Wecker stelle, um aus dem Koma aufzuwachen. Auf jeden Fall fühle ich mich danach wie eine neue, frische Ausgabe meiner selbst. Klonexperiment geglückt.
12.25 Uhr: Käffchen aufsetzen, Tee machen (wieder Anis-Fenchel-Kümmel) und dann arbeiten, arbeiten, arbeiten. Dieser Superblock ist seit jeher meine liebste, weil produktivste Arbeitsphase am Tag. Morgens geht die Maloche ganz gut von der Hand, vor dem Mittagessen habe ich in der Regel Motivations- und Hungerastprobleme. Eine halbe bis eine Stunde nach dem Mittagessen begann hingegen schon bei meinen Studijobs mein effektivster und klarster Arbeitsabschnitt am Tag.
15.45 Uhr: Work done. Jetzt tut etwas Körperpflege gut. Vielleicht noch einmal fünf bis zehn Minuten Beine hochlegen. Zumindest Zähne putzen sollte drin sein, bevor es wieder heißt:
Losfahren, abholen, zurückfahren, ankommen, runterkommen, anfahren, runterkommen, anfahren, runterkommen
16 Uhr: Ab jetzt beginnt der Teil des Tages, den ich gern noch viel mehr entstückeln würde. Ich setze mich ins Raumschiff, hole die Kinder von der Schule und der Kita ab, gehe eventuell kurz mit ihnen auf einen Spielplatz oder spiele zu Hause mit den Kids und fange an, das Abendbrot vorzubereiten.
18.15 Uhr: Es folgt das einzige gemeinsame Essen mit der ganzen Familie. Aber Abendbrot ist gesetzt, es müssen alle am Tisch sein, damit wir wenigstens einmal am Tag zusammen halbwegs in Ruhe etwas Zeit miteinander verbringen. Die Ruhe ist zu dieser Uhrzeit allerdings ein fragiles Gut, was mal wieder mächtig die mühselig erarbeiteten Biestbändigerqualitäten von Mama und Papa auf den Plan ruft.
18.30 Uhr: Und wieder heißt es: „Ran an den Geschirrspüler oder die Wäsche.“ Oder aber: „Papa, kannst du Mamma Mu vorlesen? På svenska?“
18.40 Uhr: Alle zwei Tage gönne ich es mir zu duschen. Das wird dann aber schnell in 20 Minuten durchgezogen, inklusive Dusche trocken rubbeln, wo wir wieder bei meinem Wunsch nach Telekinese wären.
19 Uhr: Schwups geht’s für Kind Nummer vier gen „die andere Seite“. Die anderen folgen mit ins Badezimmer, sodass meine Frau und ich alle jungen Familienmitglieder für die Nacht fertig machen können. Danach noch schnell den beachtlichen Haufen täglich anfallender Dreckwäsche sortieren.
19.30 Uhr: Dada: vierter Arbeitsblock. Mit Kamillentee anbei. Meine Frau holt indes die Zauberin aus sich heraus und hält die drei Großen durch fortwährendes Beschwören in Trance. Sprich: Sie liest den Kindern vor, bis sie selbst kaum mehr die Augen offen halten kann und nur noch ins Bett will.
Papa ist jetzt auch etwas müde. Er kriegt es aber trotzdem hin, am Ball zu bleiben und zum Beispiel administrative Sachen zu erledigen oder, wenn es besonders gut läuft, ein, zwei gerade Sätze zu schreiben.
20 Uhr: Aufgabe, wechsel dich: Ich muss Schlafbegleitung für die Zwillinge leisten, sonst haben wir wieder ein Grauer-Engel-Dilemma.
20.20 Uhr: Fünfter Arbeitsblock. Jetzt beginnt die Phase des ernsthaften Erschlaffens. Ich wünsche mir ein Näschen Ila al Khalf, das Elixier der Rückkehr, herbei, das Fast-Tote wieder quicklebendig macht. Ein Flakon mit dem wunderlichen Wässerchen kommt aber nicht angeflogen, und ich arbeite müde weiter. Die Strategie ist deshalb: Ich verfrachte viele bis alle einfachen Aufgaben in diesen Abschnitt, wie zum Beispiel Nachrichten gucken und Artikel oder ein Buch lesen.
Absch(l)uss
21.15 Uhr: Spätestens jetzt bin ich vollends ausgelutscht, gehe Zähne putzen und höre den düsteren Ruf Abdul Ash Badris: „Komm in das Dunkel.“
21.30 Uhr: Es wird kalt. Die Temperatur sackt schlagartig mehrere Grad ab. Ich bin allein. Ganz allein. Nein. Doch nicht. Da ist eine Präsenz. Ich verstehe, was oder wer dort auf mich zukommt, und rufe nur noch: „Oh nein. Nein, nein, nein. Aaron Cutter! Er will mich schneiden. Hilfe!“ und falle in ein unerschütterliches Koma.
Schlafen, Essen, Arbeiten, Freizeiteln
Harter Schnitt, jetzt ist hier mal Schluss mit der „Gabriel Burns“-Hommagerie.
Den obigen Teil wollte ich schon seit Langem aufgeschrieben und veröffentlicht haben. Witzigerweise kam gerade, als ich konkret anfing, den Blogeintrag zu planen, die aktuelle Zeitverwendungserhebung (ZVE) heraus. Das war vor mehr als zwei Monaten. Mensch, wie die Zeit vergeht …
Als ich mir die ersten Artikel über die Untersuchung, in der die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder etwa alle zehn Jahre beleuchten, wie die deutschen Bürgerinnen und Bürger ihre Zeit gebrauchen, durchgelesen hatte, wusste ich sofort, dass ich die Ergebnisse für meinen Beitrag nutzen muss. Vor allen Dingen bohrte sich die virale Idee in meinen Kopf, die Daten in einem Movie zu visualisieren. Jicha!
Jetzt aber zu den Erhebungsergebnissen und zu dem, was die meisten Deutschen zu welcher Uhrzeit so treiben. In der unten stehenden Grafik sind die Daten dargestellt. Die blaue Kurve gibt an, welcher Anteil der Bevölkerung zu welcher Uhrzeit schläft oder sich der Körperpflege hingibt, die pinke Kurve, wie viele gerade arbeiten oder sich bilden, die orange, wie viele wann essen, und die schwarze, wann wie viele Deutsche Zeit für Freizeit haben.

Was macht welcher Anteil der Deutschen zu welcher Uhrzeit? Die Zeitverwendungserhebung 2022 hat dieser Frage einige aktuelle Antworten in Form von Zahlen verliehen. Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2024
Die generellen Aussagen, die aus den Kurven zu ziehen sind, überraschen kaum. Die meisten Leute in Deutschland schlafen nachts, arbeiten von morgens bis zum späten Nachmittag und gönnen sich einige Stunden Freizeit am Abend, bevor es wieder in die Koje geht. Gegessen wird auch vorwiegend klassisch: gegen 9, 12 und 18 Uhr. Auffällig ist jedoch der Abfall an Arbeits- und Bildungsbeschäftigung um die Tagesmitte herum. Das reflektiert sicherlich die klassische Mittagszeit, aber wohl auch den größer werdenden Anteil von Teilzeitanstellungen und Ähnlichem. Die Arbeitskurve geht nämlich nach dem Mittagessen nicht mehr wieder hoch, sondern nur noch herunter.
In das obige Diagramm habe ich in einem zweiten Schritt meinen Alltag hineingefügt. Den Hintergrund habe ich dabei so eingefärbt, wie ich gerade beschäftigt bin: Arbeit und Bildung pink, Schlafen und Körperpflege blau und Essen weiß. Außerdem habe ich zu jedem Zeitpunkt nur die Kurve vom vorigen Diagramm beibehalten, die den größten Anteilswert hatte, also die Beschäftigung, der die meisten Deutschen zu einer jeweiligen Uhrzeit gerade nachgehen. Et voilà, das ist mein Alltag in Farbe. Sieht ein bisschen nach Barcode aus. Barcode auf LSD vielleicht.

Meine Alltagsbeschäftigungen (Hintergrundfarben) im Abgleich mit den Beschäftigungen der meisten Deutschen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Freizeit ist bei mir kein Thema. Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2024
Die größten Gemeinsamkeiten von mir mit der und dem Durchschnittsdeutschen sind, dass wir nachts Schlaf brauchen und im Tageskern von 8 bis 17 Uhr hauptsächlich arbeiten. Da hört es dann aber auch schon auf. Erstens fange ich viel früher an zu arbeiten, und zweitens arbeite ich viel länger in den Abend hinein – sowohl wegen Care- als auch wegen Erwerbsarbeit. Wohlgemerkt, die pink schraffierten Flächen sind nicht Freizeit – die kenne ich mittlerweile fast gar nicht mehr. Die schraffierten Flächen sind Arbeitsphasen, in denen ich entweder mit Haushalt oder Kinderbetreuung/-logistik beauftragt bin.
Ganz interessant finde ich folgende Beobachtung: Exakt zu dem Zeitpunkt, wenn ich mein kleines Powernäppchen halte, arbeiten die meisten Leute zwar noch. Es hören jedoch auffällig viele auch genau dann mit der Arbeit auf. Die meisten allerdings, weil sie essen, wie die erste Grafik untermalt, und nicht, weil sie eine Ruhephase nehmen – oder nehmen können. Obwohl: Ich kann ein hauchdünnes Hoch bei „Schlafen/Körperpflege“ gegen 14 Uhr erahnen. Vielleicht ist mein Nachmittagsnickerchen doch gar nicht so ungewöhnlich, wie ich zuerst dachte.
Von Äpfeln und Birnen
Bevor ich den Blogeintrag abschließe, will ich noch kurz Selbstkritik äußern, weil der Vergleich meiner Verwendungszeiten mit den hochgerechneten Durchschnittswerten von über 10-jährigen Deutschen etwas hinkt.
Meine Werte sind keine Durchschnittswerte, sondern Idealwerte, die zum Beispiel Kinderkrankentage nicht berücksichtigen. Ist eines meiner Kinder krank, was bei vier recht jungen kiddos recht regelmäßig passiert, kann ich keiner Erwerbsarbeit nachgehen. So ein Fall schiebt jedoch das Verhältnis von bezahlter zu unbezahlter Arbeit weiter auf die Unbezahlte-Arbeit-Seite. Ich komme also gar nicht zu so viel Erwerbsarbeit wie oben angegeben.
Ähnlich sind Wochenenden zu verbuchen. An schul- und kitafreien Tagen habe ich fast keine Zeit, meiner Selbstständigkeit nachzugehen, weil meine Frau und ich full-time für die Kinder da sein müssen. Aber es gibt zumindest hin und wieder ein Zeitfenster, sodass ich mal einem Freund eine Nachricht schreiben kann – oder mich sogar in seltenen Fällen zu Hause mit jemandem treffen kann. Oder ich kann abends mal eine Serie weitergucken, was einen leichten Ausschlag in der Freizeitdimension zulässt – und was eigentlich überhaupt nicht mehr in meinem Leben passiert. Trotzdem kann ich mir mit etwas Wohlwollen ein bis zwei Stunden tatsächliche Freizeit pro Wochenende attestieren, also Zeit, in der ich etwas für mich allein tue, ohne parallel hauptsächlich der Kinderbetreuung nachkommen zu müssen.
Eine weitere Schwierigkeit für den direkten Vergleich meiner Daten mit denen der ZVE ist, dass in der Studie über Alt und Jung gemittelt wurde, über Erwerbstätige und Nichterwerbstätige, Paare mit und ohne Kinder und so weiter. Um den Abgleich fairer zu machen, habe ich auf den Seiten des Statistischen Bundesamts deshalb nach anderen Datensätzen gesucht und bin fündig geworden. In einer Tabelle stellt das Amt durchschnittliche Zeitverwendungszahlen für Personen bereit, die als Paar mit ledigem Kind oder mehreren ledigen Kindern unter 25 Jahren in einem Haushalt leben, wobei mindestens ein Kind unter 18 Jahre ist. Das hört sich nach einer vernünftigen Vergleichskohorte für mich, meine Umstände und meine Daten an.
Noch fix meine Zahlen für den Wochenendfreizeitfaktor bereinigt, indem ich zwei Stunden durch sieben Tage geteilt habe, was wahnsinnige 1,2 Prozent Freizeit pro Tag im Schnitt in meinem Leben ergibt. Woohoo. Die Freizeit von der unbezahlten Arbeit abgezogen, das resultierende Verhältnis von unbezahlter zu bezahlter Arbeit so verändert, dass 100 Prozent unbezahlte Arbeit am Wochenende angenommen werden (zwei Tage) und das alte Verhältnis in der Woche (also an fünf Tagen), zack fertig, das etwas fairere Diagramm zum Vergleich von meinem Durchschnittstag mit dem von anderen Eltern, die zusammen mit Kindern wohnen.

Der Versuch eines faireren Vergleichs: meine geschätzte Zeitverwendung (NERZ, äußerer Ring) und diejenige von Leuten, die als Paar mit einem oder mehreren Kindern (mindestens eins davon unter 18 Jahre) in einem Haushalt leben (ZVE, innerer Ring). Die absoluten Zahlen sind im „Stunden:Minuten“-Format angegeben. Meine Daten beinhalten in dieser Abbildung auch den Einfluss von Wochenendbeschäftigungen.
Selbst das Diagramm untermalt die herausragende Vollgestopftheit meines Durchschnittstages mit jedweder Form von Arbeit, wie ich finde. Die persönlichen Bedürfnisse Schlafen, Körperpflege und Essen werden wie bei vergleichbaren Eltern mit knapp der Hälfte der Tageszeit bedient, und mehr als die Hälfte der Zeit wird für Arbeit und Freizeit verwendet. Nur ist und bleibt der Freizeitanteil bei mir minimal.
Was ist das Leben?
Zurück zur Ausgangsfrage: Woraus besteht mein Leben? Hauptsächlich ist es vollgestopft mit Arbeit und Routinen. Das Wunderbare daran ist, dass ich meinen Alltag trotzdem nicht als ermüdend oder eintönig empfinde. Ganz im Gegenteil, ich liebe mein Leben, wie es jetzt gerade läuft. Solang die Kinder, meine Frau und ich gesund sind, lebe ich das Leben, das ich immer leben wollte.
Schon als junger Erwachsener habe ich gemerkt, dass ich mir viele Kinder wünsche. Und seit frühesten Kindheitstagen habe ich mir vorstellen können, mich selbstständig zu machen. Damals dachte ich noch eher daran, das elterliche Hotel-Restaurant zu übernehmen und einen Ponyhof daraus zu machen. Ich entwarf Visitenkarten mit unserer ollen Schreibmaschine und überlegte mir, ob unsere marode Scheune richtig gut herausgeputzt werden könnte. Aber die traditionelle Erbfolge funkte mir dazwischen, und ich musste mir etwas anderes suchen, worauf ich Bock hatte. Dann also freier Autor. Awesome!
Mal abgesehen davon, dass ich meinen Traum lebe, ist mein Alltag auch alles andere als langweilig. Dank der kiddos erlebe ich fast jeden Tag Abenteuer, weil sie mich viel fordern, superspannende Sachen erzählen und erfinden, in aufregende Rollenspiele eintauchen, bombastische Deko basteln und alles machen, damit mein Tag alles wird, bloß nicht boring.
Außerdem verändern sich Dinge und Abläufe ja regelmäßig. Gerade mit kleinen oder noch recht jungen Kindern kann man und frau immer auf den nächsten Entwicklungsschub hoffen. „Alles ist nur eine Phase“ ist deshalb das Mantra von meiner Frau und mir, wenn uns wieder einmal eine mittelgroße Herausforderung beaufschlagt.
Kürzlich ist so eine Phase endlich wieder zu Ende gegangen. Die Schlafbegleitung der Zwillinge am Abend, die ich übernehmen musste, weil es im Winter sonst nur großes Geschrei gab, konnte ich vor ein paar Wochen an meine Frau zurückgeben. Damit haben wir die Defragmentierung meines Alltags ein Stückchen gemeistert. Ich kann jetzt abends ruhiger, entspannter und vor allem kontinuierlicher und somit konzentrierter arbeiten. Danke schön, MiZi.
Zudem nahm ich mir im Winter die Freiheit, einmal die Woche in die Sauna zu gehen, sobald das erste Kind ruhig und sicher im Bett lag. Das Thema Freizeit kehrt also vorsichtig, sozusagen auf Samtpfoten, in mein Leben zurück. Yay, geht doch – voran. „Immer Schritt für Schritt“, wie mein Papa zu sagen pflegte. Aye, aye, farfar.