Kinder und Wassersicherheit

Eins, zwei, drei, ich zauber mir ein’ (DIY-)Schwimmkurs herbei

Durch eine dramatische Begebenheit aus dem Jahr 2020 wurde mir besonders bewusst, wie wichtig Schwimmen für Kinder ist. Leider kam immer wieder zu viel dazwischen, um meinem ältesten Kind zügig Wassersicherheit mit auf den Weg zu geben. Bis vor sieben Wochen: Da übernahm Schwimmmeister Dada das Ruder.

Badeunfälle zu vermeiden ist lebenswichtig. Wenn Mama oder Papa selbst etwas Interesse am Schwimmen hat, geht das Schwimmenlernen tatsächlich am besten durch einen Elternteil – finde ich.


Sommer Nummer eins in der Pandemie. Nach vielen Wochen und Monaten des maximalen Abstandhaltens, Menschenvermeidens und des abgefahrenen Anblicks von abgeflatterten (also mit Flatterband abgesperrten) Spielplätzen konnten wir endlich wieder rausgehen. Uns mit Leuten treffen. Rumflocken. Und zusammen Spaß haben.

Meine Frau und ich waren gerade frischgebackene Zwillingseltern geworden. Die widrigen äußeren Umstände beschleunigten jedoch zum Glück einfach nur unsere Lernkurve, das schlagartig hinaufgeschnellte Mehr an Betreuungsarbeit von einem auf drei Kinder effizient aufzuteilen. Ich hatte mich in den anderthalb Jahren vor der Geburt der Zwillinge als Experte unseres Erstgeborenen etabliert – inklusive sicheren Manövrierens im chaotischen Stadtverkehr mit einem Terrible Two-er. Daher wählte meine Frau fast immer freiwillig, mit den zwei Kleinen drinnen zu bleiben. Ich ging somit oft auf Spielplätze und versuchte, Abenteuer mit unserem ältesten Kind zu erleben.

Kiddo Nummer eins und ich trafen in dem Sommer besonders häufig ein anderes Kind aus der Kita und dessen Elternteil. Die Kleinen freundeten sich richtig feste an, und wir Erwachsenen uns auch. Nummer eins fuhr sogar allein mit dem befreundeten Kind und dessen Elternteil in den nahe gelegenen Wildpark Schwarze Berge und ins Freilichtmuseum am Kiekeberg, sodass meine Frau und ich ein wenig mehr ruhige Zeit mit den Zwillingen verbringen konnten. (Vielen, vielen Dank nochmals!) Außerdem machten wir zu viert andere spannende Ausflüge, wie zum Planschen an den Elbstrand in Hamburg-Wilhelmsburg zu fahren. War ja elend heiß im Spätsommer 2020.

Mein Kind und ich kamen an dem Augusttag als Erste an der Elbe an. Das Wasser funkelte fein durch die vom Himmel frei durchflitzenden Sonnenstrahlen. Ich tagträumte mich deshalb erst mal ein bisschen nach Kalifornien zurück. Als die anderen beiden Ausflügler erschienen, planschten die Kids sofort am seichten Ufer. Wir Erwachsenen plauschten in unmittelbarer Nähe und genossen die Leichtigkeit des Moments nach all den Monaten Angespanntheit und Ungewissheit durch das Coronavirus.

Die Züge zum Hamburger Hauptbahnhof ratterten regelmäßig an uns vorbei. Was zuerst interessant für die Kinder war, wurde langsam nervig für die Erwachsenen. Deshalb verlagerten wir unseren Aufenthaltspunkt: weg von den Bahnschienen, hin zu dem reichlich besetzten, aber weniger lärmenden Strandabschnitt. Wegen der Fülle an Sonnen- und Wasserhungrigen mussten wir zwei Erwachsenen uns etwas vom Ufer entfernt den Strandhang hinauf hinsetzen. Ich hatte Schwimmflügel mitgenommen, die ich unserem Kind aufblasen und anlegen wollte, hatte es aber in dem Moment des leichten Seins bei der Ankunft leichtfertig vergessen. Das sollte sich rächen.

Wir Erwachsenen quasselten weiter, behielten die Kinder aber zu jedem Zeitpunkt im Auge. Zum Glück. Denn es kam, wie es kommen musste. Die Kinder wurden mutiger, gingen allmählich immer tiefer ins Wasser. Zuerst waren sie nur bis zu den Knöcheln drin, dann bis zu den Knien. Wir hatten sie natürlich ermahnt, nicht zu weit in die Elbe zu gehen, aber langsam ging meinem Kind das Wasser trotzdem fast bis zur Hüfte. Ich wurde aufmerksamer, griff aber leider nicht schnell genug ein. Und so rutschte mein Kind aus, landete Kopf voran mit dem Körper im Wasser, sodass es nicht mehr allein auf die Füße kam. Ich sprintete sofort los und fing irgendwie automatisch an zu zählen: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Hab dich!“

Schnell aufgerichtet und durch mehrere beherzte Klopfer zwischen die Schulterblätter die Atmung wieder in Gang gebracht! So hatte mein Kind glücklicherweise nur einen schlimmen Schrecken davongetragen. Uns beiden schlotterten krass die Knie, und der schöne Badetag fand ein jähes Ende.


Ertrinken ist zweithäufigste Todesursache bei Kindern

So oder so ähnlich ergeht es vermutlich jahrein, jahraus vielen Kindern und Eltern. Bei uns lief es zum Glück glimpflich ab, aber Badeunfälle können auch schnell tragisch enden, und zwar tödlich. Unfallverletzungen stellen die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Jahr in Deutschland dar, wobei Ertrinken der zweithäufigste Grund ist. Nur Transportmittel, also der Verkehr, rauben noch mehr kleine Leben.

Immerhin scheint sich das Gefahrenbewusstsein rund ums Wasser über die Jahrzehnte verbessert zu haben. Laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) ertranken in den 2000ern durchschnittlich 45 Kinder bis zu zehn Jahren, wohingegen es 2023 nur noch 16 waren, im Jahr davor 20. Während dieser längerfristige Trend Grund zur Hoffnung gibt, zeigt ein kürzlich veröffentlichter Zwischenbericht aber auch, dass in den ersten sieben Monaten 2024 16 Prozent mehr Menschen ertranken als 2023.

Wie viele Menschen sterben im Jahr durch Ertrinken? Daten von Statista in Kooperation mit der DLRG liefern einen Eindruck davon. Es wurden über die Jahrzehnte zum Glück weniger (kleines Diagramm). Aber in den 2010ern hat sich der positive Trend zeitweilig umgekehrt, wie es die gleitenden Mittelwerte hervorheben (gestrichelte blaue Linie: Dreijahresmittelwert; dicke blaue Linie: Fünfjahresmittelwert; gepunktete blaue Linie: Siebenjahresmittelwert). Quelle: Tödesfälle durch Ertrinken in Deutschland 1926-2023 und 1998-2023, Statista und DLRG, 2024


Weitere Statistiken der DLRG lassen erkennen, dass schwerste Unfälle vor allem in Flüssen und Seen passieren. Wie bei meinem Kind und mir auch. Dass uns dieser schlimme Unfall zugestoßen ist, ist somit gar nicht so unwahrscheinlich – zumal dort, wo er passierte.

Aber wieso ist der Unfall passiert? Was habe ich falsch gemacht?


Baderegeln nicht aufʼm Schirm? Schlechte Idee!

Die Gründe für Badeunfälle können vielfältig sein: missachtete Baderegeln, ignorierte Gefahren, schlechte Schwimmfertigkeit, gesundheitliche Probleme, Alkohol, Leichtsinn und Selbstüberschätzung. Ich bin natürlich mit der Nummer eins gleich dabei (Baderegel missachtet), weil ich nicht in Armreichweite zu meinem Nichtschwimmerkind geblieben war.

Die Schwimmflügel, die ich meinem Kleinen umschnallen wollte, wären dabei übrigens keine große Hilfe gewesen. „Kinder unter drei Jahren können sich beim Hinfallen ins Wasser oftmals noch nicht selbst wieder aufrichten – sie können in knietiefem Wasser oder sogar in Pfützen ertrinken“, wie die DLRG auf ihrer Website schreibt.


Schwimmkurse sind rar und überlaufen

Was natürlich ab einem gewissen Alter hilft, ist, die Schwimmfertigkeit zu trainieren. Das war mir und meiner Frau durch den Unfall besonders bewusst geworden. Nun sind aber vier Jahre verstrichen, und wir müssen zugeben, dass wir es immer noch nicht geschafft haben, unserem nun schon Schulkind ein gewisses Maß an Schwimmfähigkeit zu vermitteln. Damit gehören wir zu den 20 Prozent der Eltern mit einem Grundschulkind zwischen sechs und zehn Jahren, das nicht schwimmen kann. Dies hat eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von Forsa aus dem Jahr 2022 ergeben, die die DLRG in Auftrag gegeben hatte.

Die Konstellation aus Zwillingen, die wir noch zu betreuen haben, beruflichen Ein- und Wiederausstiegen, einem vierten Nachzüglerkind, Umzug, drei Großelternteilen, die innerhalb von kurzer Zeit verstarben, dem Beginn einer Selbstständigkeit und allzu vielen Krankheitstagen und -wochen verhinderte, dass wir in den letzten Jahren beim Thema Schwimmfertigkeit irgendwie Fuß fassen konnten. Wir überlegten wieder und wieder, bei welchem Schwimmkurs wir unser ältestes Kind anmelden könnten, merkten aber schnell, dass es immer weniger Angebote gab und die Wartelisten einfach superlang waren. Die Pandemie hatte diesen Missstand leider stark verschärft.

Neben der Coronapandemie scheint ein immer größer werdendes Problem die rückläufige Anzahl an Schwimmbädern zu sein. So gaben laut Forsa im Jahr 2017 92 Prozent der Befragten an, ein gut zu erreichendes Schwimmbad in der Nähe zu haben. Fünf Jahre später waren es nur noch 87 Prozent. Wegen des Schwimmbadsterbens hatte die DLRG im Jahre 2019 die Petition „Rettet die Bäder“ gestartet und mit 120.000 Unterschriften dem Deutschen Bundestag übergeben. Im Zuge der Petition ist auch die „Bäderallianz Deutschland“ entstanden, in der sich die DLRG und viele Partnerverbände und -institutionen der nachhaltigen Verbesserung der Bäderlandschaft widmen. Wollen mal hoffen, dass die Allianz die Politik auf die richtige Fährte führt und das Schwimmbadsterben beendet wird.

Wie viele Schwimmbäder gibt es in den jeweiligen deutschen Bundesländern? Der Bäderatlas liefert freie Auskunft darüber. So haben die großen Flächenstaaten Nordrhein-Westfalen (1.238), Baden-Württemberg (1.133), Bayern (1.071) und Niedersachsen (754) am meisten Hallen-, Frei-, Kombi- und Naturbäder (Abbildung links). Werden die Daten auf die Einwohnerzahlen bezogen, verwischen die zum Teil starken Kontraste zwischen allen 13 Flächenstaaten jedoch (Mitte). Die drei Stadtstaaten haben besonders wenige Bäder pro 10.000 Einwohner, aber dafür besonders viele pro Quadratkilometer Landesfläche (rechts). Quellen: Bäderatlas (abgerufen am 8.August 2024), Statistische Ämter des Bundes und der Länder (abgerufen am20. August 2024) sowie GeoBasis-DE / BKG und eigene Berechnung, 2024


Was die Schwimmfähigkeit unseres Kindes angeht, könnten wir natürlich auch versuchen, uns auf das Schulschwimmen zu verlassen. „Grundlegendes Ziel des Schwimmunterrichts ist das sichere Schwimmen“, wie die Kultusministerkonferenz 2017 nochmals klar definierte. Die DLRG hebt jedoch hervor, dass das Schulschwimmen oft nicht ausreicht, um sicher schwimmen zu können. Also musste für unser Kind ein anderer Ansatz her.


DIY ist mein Ding

„Dann mache ich das halt selber!“, sagte ich irgendwann zu meiner Frau. Es war eine klassische Trotzreaktion. Wir kamen bei dem Thema nicht voran, und ich spürte ein immer stärker werdendes Unbehagen, weil unser Grundschulkind bei allen Verabredungen mit den Freundinnen und Freunden noch nicht schwimmen konnte. In der Nähe unseres Wohnorts gibt es mehrere Teiche, und ich will auf gar keinen Fall noch einen Badeunfall. Vor allem nicht, wenn ich nicht dabei bin und nicht eingreifen kann.

Zuerst wollte ich im vergangenen Winter anfangen. Sonntagmorgens los und, so oft es halt geht, ein bisschen Schwimmen üben. Der Plan wurde aber durch eine erneute heftige Infektionszeit torpediert. Dann halt im Frühling? Aber die Krankheitswelle ebbte einfach nicht ab. Deshalb schmiedete ich den Plan, in den Sommerferien so viele Tage wie möglich mit meinem Kind ins nahe gelegene Schwimmbad zu gehen und an der Schwimmfertigkeit der Familie zu arbeiten.

Statistisch gesehen liege ich damit sogar voll im Mainstream. Bei 42 Prozent der Kinder spielen die Eltern eine größere Rolle beim Schwimmenlernen als die Schule (13 Prozent), private Schwimmschulen (24 Prozent) und Vereine (21 Prozent), wie die oben erwähnte Forsa-Befragung ergab. Das spornt mich an, unserem ältesten Kind das Schwimmen jetzt so schnell wie möglich selbst beizubringen. Und den Geschwisterkindern danach auch peu à peu.


Achtung: Disclaimer

Nun sind die Sommerferien vorbei, und der Anfang ist geschafft. Der maximal personalisierte Schwimmkurs mit Papa hat meistens viel Spaß gemacht, soweit ich es sagen kann, und es gibt kleine Fortschritte. Das beruhigt mein Gewissen und stärkt die Motivation zum Weitermachen. Bevor ich diesen Beitrag abschließe, möchte ich aber zwei Dinge hervorheben.

Erstens bin ich mir voll im Klaren darüber, dass es ein gewisser Luxus ist, dass ich so viel Zeit in die Schwimmfertigkeit meines Kindes investieren konnte. Denn dank meiner Selbstständigkeit hatte ich die nötige zeitliche Flexibilität, und dank unserer Familieneinnahmen konnten wir es uns als Familie leisten. Gerade der letzte Punkt sollte nicht unterschätzt werden.

Die Schwimmfähigkeit scheint leider mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen verknüpft zu sein. Rund die Hälfte der Kinder aus einem Haushalt mit monatlichem Nettoeinkommen von unter 2.500 Euro konnte nicht schwimmen, wie die Forsa-Befragung im Jahr 2022 ergab. Im Gegensatz dazu war es ungefähr nur ein Achtel der Kinder bei höherem Einkommen von über 4.000 Euro. Anders gesagt: Einkommensschwache Familien sind wohl viermal so anfällig, von Badeunfällen betroffen zu werden, wie einkommensstarke Familien. Oder um es mit Kettcar zu sagen: „Gute Laune ungerecht verteilt.“

Zweitens kann ich nicht jedem Elternteil blind einen DIY-Schwimmkurs-Ansatz empfehlen. Da ich selbst gern schwimme und das auch als Amateursportler betreibe, fühle ich mich einigermaßen sicher, mein Kind am und im Wasser zu begleiten – gerade auch beim Erlernen des Schwimmens. Ich hatte als Kind selbst den Freischwimmer gemacht (heißt offiziell Deutsches Schwimmabzeichen Bronze), der als Bestätigung des sicheren Schwimmens gilt. Elternteile, die selbst nicht wassersicher sind, sollten meiner Meinung nach den Profis das Schwimmenlehren überlassen. Die DLRG ist dafür wahrscheinlich die beste Anlaufstelle, weil sie mit 170.000 Teilnehmenden pro Jahr der größte Anbieter von Schwimmkursen in Deutschland ist.

Wie auch immer man es macht – selber oder selber machen lassen: Kindern, aber auch erwachsenen Nichtschwimmern das Schwimmen beizubringen ist wichtig. Manchmal sogar lebenswichtig.



PS: Bei meinen Recherchen auf den Seiten der DLRG blieb ich auch auf deren Spendenseiten immer wieder hängen. Da ich die Arbeit der DLRG wichtig und hilfreich finde, habe ich mich entschlossen, „Kickboard-Pate“ zu werden. Das kann ich dir empfehlen. Ohne Einschränkungen und Disclaimer.



Anhang: die wichtigsten Baderegeln von der Website der DLRG

1. Geh nur baden, wenn du dich gut fühlst.

2. Geh nur baden, wenn dir bei Problemen jemand helfen kann.

3. Wenn du Probleme im Wasser hast, dann ruf laut um Hilfe und wink mit den Armen. Du hilfst anderen, wenn sie im Wasser Probleme haben. Du rufst nie „Hilfe“, wenn alles in Ordnung ist.

4. Du sagst Bescheid, wenn du ins Wasser gehst.

5. Du gehst weder hungrig noch direkt nach dem Essen ins Wasser.

6. Du kühlst dich ab, bevor du ins Wasser gehst.

7. Du gehst nur da baden, wo es erlaubt ist. Du springst nur da ins Wasser, wo das Wasser tief und frei ist.

8. Du nimmst Rücksicht! Du rennst nicht, schubst nicht und drückst niemanden unter Wasser.

9. Schwimmflügel, Schwimmtiere und Luftmatratzen sind nicht sicher und schützen dich nicht vor dem Ertrinken.

10. Wenn du draußen badest, gehst du sofort aus dem Wasser, wenn es blitzt, donnert oder stark regnet. Baden bei Gewitter ist lebensgefährlich.

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