Ausflüge und Agilität
Acht zahme Ziegen zogen zehn Zentner Zucker zum Zoo – nicht
Seit dem Frühling wollen meine Frau und ich mit den Kindern in den Zoo nach Hamburg fahren. Der Plan musste allerdings mehrmals kurzfristig aus dem Familienkalender gestrichen werden. Aber an einem schönen Septembersamstag machten wir uns endlich auf den Weg – und strandeten mit kiebigen Kindern auf der Bahnhofsbaustelle in Hamburg‑Harburg. Warum es trotz alledem ein wunderschöner Tag wurde und wie mir ein Supersonderagent in der Situation half, erzähle ich dir hier.

Spielplätze. Zum Glück gibt es schöne, öffentlich zugängliche Spielplätze. Und Sonne. Diese zwei Elemente können Mama und Papa das Leben retten, wenn an einem Wochenendtag alle wohlausgetüftelten Ausflugspläne trotz maximaler Beharrlichkeit doch wieder ins Wasser fallen.
Wochenenden sind Familienzeit. Unser Alltag ist präzise durchgetaktet, weshalb meine Frau und ich versuchen, an Samstagen und Sonntagen ein paar Gänge zurückzuschalten. Wir besuchen nach aller Möglichkeit jedes Wochenende die Oma, oder Oma kommt zu Besuch zu uns, und wir chillen gemeinsam. Außerdem versuchen wir, möglichst jedes Wochenende mit den Kindern einen kleinen oder größeren Ausflug zu unternehmen. Alles unter voll entspannten Voraussetzungen, versteht sich – soweit das mit vier jungen Wilden machbar ist.
Leider kommt jedoch in allzu verlässlicher Regelmäßigkeit etwas dazwischen, sodass wir Oma in letzter Zeit im Schnitt nur alle zwei Wochen zu sehen bekommen. Und auch die Ausflüge und Schwimmbadbesuche kommen immer wieder aus allerlei Gründen zu kurz. Zum Beispiel wollen wir seit Monaten nach Hamburg in den Tierpark Hagenbeck fahren. Das letzte Mal waren wir mit unserem ältesten Kind dort, als die Zwillinge noch Säuglinge waren. Das müsste somit vier Jahre her sein. Oma und Opa passten auf die beiden Lütten auf. Damit bekam Nummer eins endlich mal wieder exklusive Mama‑Papa‑Zeit, nachdem die zwei neuen Nestbewohner viel zu viel Mama‑Papa‑Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Fieslinge!
Bei dem Besuch vor vier Jahren waren wir allerdings nicht allein mit unserem Ältesten dort. Ein befreundetes Kind und dessen Elternteil begleiteten uns in den Zoo. Das war so schön, dass die beiden Kinnings immer noch davon erzählen. Und uns immer wieder fragten, wann wir denn das nächste Mal zu Hagenbeck fahren würden.
Wir haben dieses Jahr schon einige Zooausflugsanläufe unternommen, indem wir einen tauglichen Tag dafür im Familienkalender anstreichen. Letzteres vermittelt uns selbst die nötige Verbindlichkeit, den Ausflug wirklich anzugehen und durchzuziehen. Aber wir mussten immer wieder verschieben. Bis zum letzten warmen Wochenende im September. Da schien unglaublicherweise alles glattzulaufen, um mit unseren Freunden – und diesmal der vollzähligen Familienbande – in den Zoo zu fahren.
Es schien. Ja, ja. Aber nur die Sonne, wie wir im Nachhinein feststellen sollten.
Noch schnell einkaufen
Der Samstag, den wir für unseren Ausflug anvisiert hatten, verlief eigentlich recht normal. Meine Frau stand etwas vor mir auf, weil ich noch am Tag zuvor in der Sauna war und somit später im Bett lag als sie. Im Winter versuche ich, mir zwecks Stärkung des Immunsystems (und weil es einfach superentspannend ist) regelmäßig Sauna zu gönnen. Da ich durch die täglichen Schul‑, Kita‑ und Einkaufsgänge viel öfter auf andere Menschen treffe als meine Frau im Heimbüro, ist es für die ganze Familie essenziell, dass ich fit bin und bleibe. Bilde ich mir zumindest ein.
An besagtem Samstagmorgen konnten meine Frau und ich nach dem Aufstehen erst einmal in Ruhe ein Käffchen trinken und ein paar Sachen im Haushalt erledigen, bevor langsam, aber sicher die Kinder wach oder geweckt wurden. Ein bisschen spielen. Frühstücken. Anziehen, Zähne putzen und mehr spielen. Entspannte Wochenendroutine halt.
Da der Kühlschrank ob der nicht mehr voll vorhandenen Fülle anfing, lauthals zu gähnen, musste dringend eingekauft werden. Vor einigen Wochen hatten wir unserem Kühli am Wochenende zu wenig Beachtung geschenkt, sodass an jenem Sonntag dann ungewollt Schmalhans bei uns Küchenmeister war. Und die Montagsbrotdosen fielen auch nicht gerade zum Gefallen der Kinder aus. Eine Wiederholung galt es unbedingt zu vermeiden, womit Papa nach dem Frühstück lospreschte, um die Vorräte auf ein seliges Niveau zu hieven.
Doch: Der dumme Spruch „Alles hat seinen Preis“ hat seine Daseinsberechtigung. Denn die so investierte Dreiviertelstunde war natürlich weg und konnte, was den Ausflug anging, auch nicht mehr auf‑ oder zurückgeholt werden. Das sollte mir später noch einmal durch den Kopf gehen. Und der Geduld der Kinder hatte der Expresseinkauf von Herrn Vater auch nicht gerade gutgetan.
Planänderung vonnöten: Bus oder Regionalbahn?
Während ich einkaufen war, fand meine Frau zudem heraus, dass die S‑Bahn leider nicht durchfahren würde. Wir wollten möglichst nicht die ganze Strecke zum Zoo mit dem Auto fahren. Deshalb war der Originalplan, bei der nächstgelegenen S‑Bahn‑Haltestelle zu parken und von dort die Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof zu nehmen – ein Versuch von Nachhaltigkeit.
Das ging aber aufgrund einer nicht planbaren Eventualität nicht mehr, und so mussten wir uns umentscheiden. Entweder am Plananfang festhalten (S‑Bahn), aber dann mitten auf dem Weg in Hamburg‑Wilhelmsburg in einen wahrscheinlich völlig überfüllten Bus einsteigen. Oder einen Tick weiterfahren und in Hamburg‑Harburg eine Regionalbahn nehmen.
Ich malte mir kurz aus, wie ich mich an einer der üblichen Ersatzverkehrshaltestellen mit fünf Kindern, zwei weiteren Erwachsenen und einem Buggy in einen Bus reinzuquetschen versuchte, in den sich zeitgleich etwa 100 bis 200 andere unternehmungslustige Leute reindrängten. Hätte mein Augenlid angefangen zu zucken, wie es bei Scrat von Ice Age immer passiert, wenn er seine geliebte Eichel verliert, hätte es mich nicht gewundert. Die bloße Vorstellung der stressigen Szene ließ meinen Körper Cortisol im Überfluss in meine Adern pumpen.
Also lieber die Regionalbahn nehmen. Empfand meine Frau übrigens ähnlich.
Parken, aber wo?!
Wir blieben bezüglich der Züge optimistisch und setzten uns – und die Kinder – ins Auto. Ziel war da nicht mehr das Wohngebiet um die nächste S‑Bahn‑Haltestelle herum, sondern das Park‑and‑Ride‑Parkhaus am Harburger Bahnhof.
Ah, der Gedanke an das Parkhaus weckte wohligste Erinnerungen in mir. Wie meine Kumpels und ich Ende der 90er‑Jahre immer mit meinem auch als Elefantenrollschuh bezeichneten Opel Corsa in „Caribbean blue“ (notorische Neinsager nannten es Türkis, ts, ts, ts) in das Parkhaus gefahren waren, um die Rampen zwischen den Parketagen für unsere Skateboard‑„Künste“ zu missbrauchen. Oder wie mein Cousin und ich dort geparkt hatten, um mit der S‑Bahn zu einem St.‑Pauli‑Spiel mit anschließendem umnebeltem Dombesuch weiterzufahren. Ach, wadd herrlisch datt war.
Leider blieb an diesem Samstag keine freudige Erinnerung von diesem Prunkstück von Parkhaus hängen. Denn es war voll besetzt – wie es sich für Prunkstücke so gehört. So ’n Dreck! Kein einziger Platz war mehr zu ergattern. Also musste die nächste Planänderung her. Da unsere Freunde schon in Harburg unterwegs waren, versuchten wir, in deren Nähe zu parken und den Rest des Weges zum Bahnhof gemeinsam zu Fuß zu meistern.
Ausnahmsweise hatten wir Glück und fanden an einer der üblichen Stellen in den Harburger Wohngebieten eine Abstellgelegenheit. Puh! Hurtig die Kinder und den Kinderwagen raus, Rucksack auf, Parkmodalitäten doppelt gegengecheckt, losgetigert und unsere Freunde eingeholt. Dann zogen wir zu acht zu Fuß zum Zoo – über den Zwischenstopp Harburger Bahnhof. Konnte doch nichts mehr schiefgehen. Oder?
„Nur“ noch zum Bahnhof gehen – irgendwie
Die Kids waren superhappy, dass das befreundete Kind und dessen Elternteil nun mit von der Partie waren, und gingen glücklich und ruhig an unseren Händen durch die Stadt. Der Bahnhof war einen kleinen Fußmarsch entfernt, aber wir hatten das Etappenziel fest und frohen Herzens vor unserem inneren Auge. Trotzdem verflog bei unseren Kleinen die kurzzeitig getankte Euphorie dank des Zusammenfindens mit unseren Freunden zusehends. Quasi mit jedem Schritt. Latschen ist halt nervig. Und genervte Kinder sind nicht gerade förderlich für die Nerven der Eltern – vor allem im städtischen Straßenverkehr. Argh!
Zudem hatte ich ziemlich ausgeblendet: Um den Harburger Bahnhof herum herrscht zurzeit Großbaustelle, weil er komplett neu gestaltet wird. Das allein wäre auch per pedes nicht dramatisch gewesen. Nur, wenn „ein sehr umfangreiches Wegeleitungssystem“ eine Meute mit fünf energiegeladenen Kindern falsch leitet und über die Schienen statt zu den Schienen hinführt, führt das mal fix zum Meutern der Meute. Was ich wegen der ganzen Verzögerungen und Planänderungen zu dem Zeitpunkt vollends nachvollziehen konnte.
Letztlich zwängten wir uns irgendwie zwischen Baustelle und fahrendem Verkehr auf einen wohl abgesperrten, megaengen Bürgersteig und gelangten so irgendwie in unmittelbare Nähe des Bahnhofs. Dann benutzten wir eine Fußgängerrampe, um zum Parkplatz des Bahnhofs zu kommen – aber die war wohl auch irgendwie gesperrt, wie wir auf der anderen Seite sahen. Nichtsdestominder kamen wir irgendwie und irgendwie heil an und betraten den Bahnhof.
„Wichtige Kapazitätsmitteilung: Mitnahme nicht mehr möglich“
„Regionalbahn Richtung Hamburg? Ah, Gleis zwei“, dachte ich, als ich auf die große Anzeigetafel in der Eingangshalle stierte. Auf dem Weg zum Gleis hoffte ich inbrünstig, dass der Fahrstuhl funzen würde. Und: Er funzte. Der Fahrstuhl machte keine Mucken, dafür zickte der Zug rum, wie sich bald rausstellen sollte.
Es war mittlerweile kurz vor halb zwölf, und wir standen auf dem Bahnsteig. Erst auf dem Bahnsteig, denn zu dieser Uhrzeit wollten wir eigentlich schon längst in Hamburg und im Zoo sein. Ich haderte deshalb mit mir, dass das Einkaufen doch keine gute Idee war, als ich zur Anzeige hochschielte – und endgültig aus allen Wolken fiel. Oben in dem klein gedruckten Lauftext, der wahnsinnigerweise die essenziellsten Nachrichten enthält, las ich: „Wichtige Kapazitätsmitteilung: Mitnahme nicht mehr möglich.“
Ich hätte am liebsten sofort losgeschrien, war aber so konsterniert, dass ich nichts mehr konnte, außer mit offenem Mund hochzustarren. Nach ein paar Sekunden des rationalen Verarbeitens und aktiven Unterdrückens vieler impulsiver Impulse wies ich die beiden anderen Erwachsenen im Bunde auf die neue Gegebenheit hin und beobachtete bei denen das Gleiche wie bei mir: stummes Entsetzen. Irgendwann murmelte irgendjemand ein schwaches „Mhmm.“ Ansonsten war hoch konzentriertes Nachdenken bei uns dreien zu spüren. Wie war die Situation zu retten?
Es war klar, dass der Ausflug gerade vor unseren Augen mit dem Lauftext davongeglitten war. Jede erneute Verkehrsmitteländerung hätte nun zu erheblich größeren Verspätungen und Verzögerungen geführt, die wir den Kindern kaum noch hätten zumuten können, ohne Totalausfälle auf uns zu ziehen.
Zu allem Übel war es fast Mittagszeit. Hilfe, die Kinder wurden hungrig! Meine weise Frau hatte mir zum Glück vorm Einkaufen aufgetragen, sechs Schnittbrötchen und vier Kinderlaugenbrötchen zu kaufen, und hatte die Brötchen als Käsestullen geschmiert. Diese retteten uns für ein paar Minuten auf dem Bahnsteig des Grauens zunächst das Leben.
Dennoch kam der Augenblick, in dem sich Eltern tief in die Augen schauen, weil sie wissen, dass das nun Folgende folgenreich wird und alle nur gemeinsam da durchkommen. So sagten wir die Worte, die wir an dem Tag nie hätten sagen wollen: „Wir schaffen es heute wohl nicht, in den Zoo zu fahren.“ Krawumm, Blitze zuckten in den Augen der Kinder, und die Erde tat sich auf.
Thank goodness for amerikanische Restaurants
Im Endeffekt hatten wir Glück. Lediglich eins der Kinder bekam einen hysterischen Anfall. Das ist bei fünf Kandidaten und Kandidatinnen eine gute Ausbeute. Wobei ich erwähnen sollte, dass ein Kind zu jung war, um es kognitiv zu erfassen, was die Konsequenzen aus dem just Gesagten sein würden. Oder wie schön ein Zoobesuch eigentlich sein könnte. Also faktisch vier mögliche Alarmschläger und ‑schlägerinnen.
Aber auch ein einziges herzzerreißend weinendes Kind zerreißt jedem Vater und jeder Mutter das Herz. Deshalb musste schnell eine Ablenkung oder attraktive Aussicht her. Der befreundete Elternteil schlug einen schönen Spielplatz im Harburger Hafen vor, auf dem wir mit den Kindern seit ähnlich langer Zeit nicht mehr waren wie im Zoo. Super Idee. Reichte jedoch nicht aus, um das vor sich hin schluchzende Kind hinreichend zu beruhigen.
Mittlerweile war es fast zwölf Uhr, und ich wusste, dass das Käsebrötchen nicht lange vorhalten würde. Ich überlegte, wo wir Mittag essen gehen könnten, dachte an das nahe gelegene Phoenix‑Center und bekam den erlösenden Einfall. Ich spielte den letzten Trumpf aus, den Eltern in so einer Situation haben, und fragte: „Wollen wir zu McDonald’s gehen?“ „Jaaa!“ war die einhellige Antwort. Und die Laune wurde schlagartig wieder handhabbar. Schwein gehabt.
Die Moral von der Geschicht: Flexibilität ist Pflicht
Fünf glückliche Happy Meals und einen Stopp beim Indoorspielplatz mit anschließendem Eisgang später befanden wir uns auch schon wieder auf dem Weg zurück zum Auto. Schnell zum Spielplatz im Gebrüder‑Cohen‑Park auf der Harburger Schloßinsel gefahren und fantastische zwei, drei Stunden bei bestem Spätsommerwetter verlebt. Zum Glück gabs ja wenigstens Sonnenschein, auch wenn wir am Anfang des Tages hauptsächlich unsere Hoffnung auf den Anschein des nahenden Ausflugs gesetzt hatten.
Dank des Spielens und Tobens schmolzen die gerade angemampften Kalorien auch flugs wieder weg. Bei den kiddos, wohlgemerkt. Die Eltern mussten sich ob der physischen und psychischen Strapazen erst mal in Müßiggang üben.
Und? Was bleibt dann von dem Tag, an dem wir in den Zoo wollten und am Harburger Bahnhof strandeten? Ich meine, bis auf die schön lauschigen Erinnerungen vom Spielplatz?
Zum einen, dass das schnelle Einkaufen morgens doch die richtige Entscheidung war. Dadurch hatten wir die ruhestiftenden Käsebrötchen auf dem Bahnsteig, und ich musste am darauffolgenden Montag nicht einkaufen und hatte somit mehr Zeit, diesen Text zu schreiben. Des Weiteren bleibt natürlich die übliche Erkenntnis, dass Eltern sehr flexibel und agil sein müssen. Und je mehr Kinder involviert sind, desto agiler und flexibler müssen die Eltern sein.
Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir gerade auf, dass ich mir die Fähigkeit zur Agilität und Improvisation eventuell früh von dem Protagonisten eines meiner Lieblingshörspiele zu Jugendzeiten abgehört habe. Denn Larry Brent, wie der gute Mann heißt, musste sich auch ausdrücklich durch Improvisationsgabe auszeichnen, um in den Kreis der toughesten Supersonderagenten der Psychoanalytischen Spezialabteilung, der PSA, aufgenommen zu werden.
Ergo: Hört ordentlich Hörspiele, liebe Eltern. Die können – vielleicht – wertvolle Fertigkeiten vermitteln.
Hmm, jetzt hab ich Blut geleckt. Ich glaub, ich mach mir mal schnell meine Lieblingsfolge an: Der Dämon mit den Totenaugen. Schlotter!